Chemie

Der aufmerksame Leser meines unregelmässigen Blogs ahnt es bestimmt schon. Ich bin ein Fotograf, der in der Regel weniger plant, sondern aus der Situation raus fotografiert. Dies ist entgegen der meisten Empfehlungen und Ratschläge, entgegen der „Regeln“ der guten Portrait-Fotografie.

„Ich besprechen vorher mit dem Model, welche Kleidung sie mitbringen soll, welche Settings ich fotografieren will, etc.“. So hört man es oft. Und es ist nicht so, dass ich mich nicht vorher mit dem Model unterhalte, was ich mir grob vorstelle. Nur (zumindest bei mir) überholt die Realität meist die Planung. Man mag es mit mangelnder Durchsetzung bei der Fotografie erklären wollen, oder mit schlechter Vorbereitung. Vielleicht war es das ganz am Anfang. Nur mittlerweile habe ich einen „Best Practise“ Weg entwickelt:

Mir geht es in der Regel durchaus um ein gewisses Setting, also wollen wir Gesicht, oder auch Ganzkörper fotografieren. Soll es der Rolli sein, oder Dessous. Das muss man klären. Und natürlich auch ob es die Outdoor Klamotten tun, oder ob mehr Haut gezeigt werden soll. Nur ob es eine enge Jeansjacke, oder eine Lederjacke sein soll, das ist mir recht egal. Oder welche Posen ich mir vorstelle. Ich habe schon oft Mood-Boards erstellt, am Ende kamen andere Bilder raus als geplant, aber aus meiner Sicht tolle Bilder.

Worauf kommt es mir an ? Ich sehe so viele Fotos, in denen alles stimmt: Das Licht, das Setting, die Kleidung, die Pose, alles prima. Nur die Atmosphäre fehlt mir zu oft. Viele Fotos sind statisch und scheinbar perfekt, dennoch künstlich (nicht kunstvoll). Es fehlt mir Leben. Woher kommt das ?

Ich mag nun einigen Kollegen recht nahe treten, oder Unrecht tun, aber für mich ist es die Chemie. Viele Bilder sind clean, leblos, ohne Bewegung, sehr insziniert und es fehlt die Aussage. Beim Betrachten kann man sich nicht vorstellen was vor diesem Moment des Bildes, oder danach passiert. Ich vermute das ist, weil Bilder oft lange insziniert werden, im Kopf fängt das an. Im Studio dann: Hinsetzen, Pose, Licht, Ausdruck, korrigieren, nicht bewegen, schau zur Seite, Moment, ja der Arm etwas höher, nicht bewegen ….

So kann ich nicht fotografieren. Ich liebe das ungeplante, spontane. Dafür gehört für mich aber auch die Atmosphäre. Entspannt, locker, kein Zwang. Ich kann ein Model nicht in meine Denkform, meine Fantasie pressen, in der es sich evtl. gar nicht wohl fühlt. Wenn ich zwischendurch die Bilder auf der Kamera zeige und merke, dass sich ein Mensch nicht so sieht, wie ich ihn sehe, er sich damit nicht wohl fühlt, das geht zu Lasten der Chemie.

Natürlich haben grosse Fotografen ihre genaue Vorstellung, ein Bild im Kopf, das setzen sie um und arbeiten mit professionellen Models, die dann von einem Kran abseilen lassen und sich danach übergeben müssen (Jep, Extrembeispiel). Man hört es hin und wieder: „Mit dem Fotografen kann man gar nicht arbeiten, es war grauenhaft“. Die Bilder sind aber trotzdem objektiv toll geworden. Und ja, natürlich gibt es Gegenbeispiele.

Meine persönliche Erfahrung und mein Weg ist ein anderer. Ob er der Richtige ist, das weiss ich nicht. Auch nicht, ob meine Bilder toll sind. Ich plädiere für das Lebendige, das Spontane, für Emotionen, die man sieht, für Bewegung, für Fantasie, die angeregt wird. Wenn der Betrachter eines Bildes anfängt sich zu fragen, was nach der Aufnahme passieren könnte, wie die nächsten 10 Sekunden danach verlaufen, dann habe ich meine Job richtig gemacht.